Ringvorlesung: In situ Messungen der Verdunstung über großen Wasserflächen und Parametrisierung von Verdunstungsmodellen
13.06.2023
Die genaue Kenntnis der Menge und die exakte Beschreibung der zeitlichen Dynamik der Wasserhaushaltskomponenten (Niederschlag, P; Abfluss, R; Verdunstung, ET und Änderung des im hydrologischen System gespeicherten Wassers, ΔS) sind von grundlegender Bedeutung für eine effektive und nachhaltige Wasserressourcenbewirtschaftung. Die repräsentative messtechnische Erfassung dieser hydrologischen Umweltgrößen sowie die adäquate modellbasierte Nachbildung der stattfindenden hydrologischen Prozesse sind daher essentiell für eine erfolgreiche Umsetzung von Flutungsvorhaben in Tagebaufolgelandschaften.
Der Wasserhaushalt ist komplex und vielschichtig mit meteorologischen Umweltfaktoren verbunden. Insbesondere unterliegen in der Wasserbilanz,
P = R + ET + ΔS, (1)
neben dem Wassereintrag durch Niederschlag (P) auch die durch die verschiedenen Verdunstungskomponenten das System verlassenden Anteile einer atmosphärischen Beeinflussung. Die Verdunstung ist dabei das Bindeglied, was den Wasserhaushalt einer hydrologischen Einheit mit dessen Energiebilanz,
RN = H + LE + ΔJ, (2)
(Nettostrahlung, RN; Änderung der Wärmespeicherung im System, ΔJ; sensibler Wärmestrom, H und latenter Wärmestrom, LE) koppelt. Der latente Wärmfluss (LE) entspricht dabei dem Energieäquivalent der Verdunstung,
LE = L ⋅ ET; L ≈ 2.45∙106 J kg‑1, (3)
womit sich erklärt, dass in einem hydrologischen System nur so viel Wasser verdunsten kann, wie Energie bereitsteht. Ein theoretisches Maximum für größere Flächen und längere Zeitabschnitte ergibt sich aus der Strahlungsbilanz,
RN = (1-α) RS - RT + RA, (4)
(solare Einstrahlung, RS; Albedo, α; terrestrisch emittierte Strahlung, RT; atmosphärische Gegenstrahlung, RA) bzw. dem Verdunstungsäquivalent von RN,
ETmax = RN/L . (5)
Die tatsächliche Verdunstung ist jedoch unter realen Bedingungen stets deutlich kleiner als ETmax, da ein Teil der zur Verfügung stehenden Energie das System immer auch in Form von sensibler Wärme (H) verlässt. Hinzu kommt, dass bei terrestrischen Standorten zusätzlich meist eine Limitierung aufgrund der Wasserverfügbarkeit auftritt.
Die Wärmespeicherung bzw. ΔJ einer hydrologischen Einheit ist bei Landoberflächen quantitativ meist von ungeordneter Bedeutung. Daher ist an terrestrischen Standorten oftmals eine direkte Kopplung bzw. Korrelation zwischen RN, RG und ET zu beobachten. Im Gegensatz dazu ist die Energiespeicherung bei Gewässern die zentrale Steuergröße von ET. Das Zusammenspiel zwischen Energieeintrag in Form von RN und der Energie-/ Wärmespeicherung im Wasserkörper (J) bestimmen sowohl die zeitliche Dynamik als auch indirekt über die Kopplung mit anderen atmosphärischen Steuergrößen, wie Sättigungsdampfdruckdefizit und Windgeschwindigkeit, die Menge von ET.
Im Rahmen des Vortrags werden moderne Konzepte zur Messung der Verdunstung vorgestellt und aktuelle Ergebnisse der beiden DFG- (Deutsche Forschungsgemeinschaft) geförderten Projekte TREGATA und MEDIWA präsentiert. Mit Hilfe eines schwimmenden Freilandlabors wurde bzw. wird in diesen beiden Projekten der Stoff- und Energieaustausch zwischen der Wasseroberfläche und der oberflächennahen Luftschicht an zwei Talsperren (Rappbode-Talsperre und Talsperre Bautzen) mit unterschiedlicher limnologischer und hydrologischer Charakteristik intensiv untersucht. Anhand der gewonnen Messdaten wird eindeutig gezeigt, dass die Verdunstung über dem Freiwasser-/ Pelagialbereich flächig ausgedehnter, tiefer Gewässern deutlich kleiner (Faktor 2) ist, als dies auf Grundlage bisheriger Abschätzungen angenommen wurde. Es wird die Hypothese diskutiert, dass die Uferzonen, das heißt die Flachwasser- und Litoralbereiche, aufgrund von Oaseneffekten und advektiven Energieeinträgen aus umgebenden Landflächen überproportional zur Gesamtverdunstung eines Gewässers beitragen. Es lässt sich daraus ableiten, dass die derzeitig gebräuchlichen Modellierungsansätze die Gesamtverdunstung großer Gewässer überschätzen. Andererseits wird die Verdunstung kleiner Gewässer (z.B. Fischteiche) und amphibischer Bereiche aber massiv unterschätzt.